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Praxisleitfaden Aktionärsbindungsverträge: Was in der Schweiz (nicht) zulässig ist

13. Oktober 2025

Dr. Simon Lang

Aktionärsbindungsverträge bilden das Rückgrat vieler nicht börsenkotierter Unternehmen in der Schweiz. Sie regeln, wie die Aktionäre zusammenarbeiten, Entscheidungen treffen sowie wann und wie sie ihre Beteiligungen veräussern oder übertragen dürfen. Kurz: Sie definieren die Spielregeln des unternehmerischen Zusammenwirkens.


Doch was geschieht, wenn diese Regeln zu restriktiv werden? Leitentscheide des Bundesgerichts zeigen, dass selbst sorgfältig formulierte Vertragsklauseln unwirksam sein können, wenn sie die Handlungsfreiheit eines Aktionärs übermässig beschränken oder gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen verstossen.


1. Die feine Linie zwischen Kontrolle und Beschränkung


Es ist nachvollziehbar, weshalb Aktionärsbindungsverträge häufig strenge Regelungen enthalten. Gründer und Investoren streben Stabilität an: Sie wollen verhindern, dass Aussenstehende in die Gesellschaft eintreten oder eine unerwünschte Veräusserung erzwingen.


Das Schweizer Recht setzt solchen Regelungen jedoch klare Grenzen.

Nach Artikel 27 Zivilgesetzbuch (ZGB) darf niemand seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit vollständig aufgeben; Vertragsbestimmungen, die sie übermässig einschränken, sind nichtig. Die praktische Bedeutung dieser Bestimmung für Aktionärsbindungsverträge zeigt sich exemplarisch in zwei Bundesgerichtsentscheiden:


  • BGE 143 III 480 = 4A_68/2016 (27. Juni 2017): Das Bundesgericht prüfte einen Aktionärsbindungsvertrag, der eine Aktionärin durch strikte Übertragungsbeschränkungen und das Fehlen realistischer Austrittsmöglichkeiten faktisch unbefristet an die Gesellschaft band. Das Gericht qualifizierte dies als übermässige Bindung im Sinne von Art. 27 ZGB und erklärte die entsprechenden Klauseln mit Wirkung ex nunc (nicht   rückwirkend) für unverbindlich.


  • BGE 145 III 351 = 4A_623/2018 (31. Juli 2019): In diesem Entscheid befasste sich das Bundesgericht mit   Übertragungsbeschränkungen für nicht börsenkotierte Namenaktien. Es bestätigte, dass private Gesellschaften grundsätzlich beschränken dürfen, wer Aktionär wird. Ein uneingeschränktes Vetorecht über jede Aktienübertragung   ist jedoch unzulässig, es sei denn, die Gesellschaft (oder ein bestimmter Aktionär) bietet an, die Aktien zum wirklichen Wert zu erwerben – gestützt auf die gesetzliche Auffangklausel nach Art. 685b OR. Selbst in diesem Fall muss der Verwaltungsrat Gleichbehandlung und Willkürfreiheit wahren; ein uneingeschränktes Vetorecht ohne faire Ausstiegsmöglichkeit würde Aktionäre unzulässig „einsperren“.


Fazit: Selbst unter erfahrenen Geschäftspartnern endet die Vertragsfreiheit dort, wo sie einen Aktionär dauerhaft daran hindert, in seinem eigenen wirtschaftlichen Interesse zu handeln.


2. Zentrale Überlegungen für die Vertragsgestaltung


In der schweizerischen Praxis führt der Weg zu einem wirksamen und durchsetzbaren Aktionärsbindungsvertrag über ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Verbindlichkeit und Flexibilität. Folgende Grundsätze sollten dabei beachtet werden:


  • Fügen Sie Kündigungs- und Austrittsmöglichkeiten ein, legen Sie eine angemessene Vertragsdauer fest und vermeiden Sie unbefristete Bindungen.

  • Übertragungsbeschränkungen für Namenaktien sind gemäss Art. 685b OR zulässig, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Enthalten Sie klare, realistische und faire Ausstiegs- und Bewertungsmechanismen. Wenn Aktien (nach einer anfänglichen, oft akzeptierten Sperrfrist) nicht frei veräussert werden können, sollte eine Erwerbsmöglichkeit zu einem fairen Preis durch andere Aktionäre oder die Gesellschaft bestehen.

  • Beschränkungen müssen einem legitimen gesellschaftlichen Zweck dienen (z. B. Sicherung der strategischen Kontrolle oder Wahrung der Unabhängigkeit) und verhältnismässig ausgestaltet sein.

  • Konkurrenzverbote sind auf das notwendige Mass zu begrenzen. Nebst den vertraglichen Schranken sind auch kartellrechtliche Vorgaben zu beachten. Schweizer Gerichte anerkennen Konkurrenzverbote zwischen Aktionären und/oder der Gesellschaft, sofern sie inhaltlich, geografisch und zeitlich beschränkt sind.

  • Eine Klausel, die einen Aktionär lebenslang oder weltweit daran hindert, in einem nur entfernt verwandten Tätigkeitsfeld zu arbeiten, ist unwirksam.

  • Achten Sie auf die Grenzen des zwingenden Gesellschaftsrechts, insbesondere auf gesetzliche Informations- und Einsichtsrechte, Kapitalerhaltungsvorschriften, Regeln zur Gewinnausschüttung sowie die obligatorischen Zuständigkeiten der Gesellschaftsorgane.


3. Typische Beispiele für problematische oder unwirksame Klauseln


Die folgenden Beispiele zeigen häufige Konstellationen aus der Praxis, die ein hohes Risiko der Unwirksamkeit nach Schweizer Recht bergen, weil sie (i) die persönliche Freiheit verletzen (Art. 27 ZGB), (ii) zwingendes Gesellschaftsrecht missachten oder (iii) gegen die   öffentliche Ordnung verstossen (Art. 19–20 OR):


  • Unbefristete Lock-up-Klauseln ohne Kündigungsrecht oder faire Ausstiegsmöglichkeit, z. B. zu einem Preis   deutlich unter Marktwert ohne legitimen Grund;

  • „Good/Bad-Leaver“-Klauseln mit übermässig weit gefasstem „Bad-Leaver“-Begriff, der nahezu jede Beendigung erfasst;

  • Verkaufs- oder Kaufoptionsklauseln, die durch geringfügige Ereignisse (z. B. Änderung des Zivilstands) ausgelöst werden;

  • Kaufoptionen zum Nennwert, die jederzeit und ohne sachlichen Grund ausgeübt werden können und dem Aktionär faktisch den wirtschaftlichen Wert entziehen;

  • Dauerhafte Stimmrechtskontrolle durch einen anderen Aktionär (z. B. unwiderrufliche Stimmrechtsvollmacht ohne zeitliche   Begrenzung);

  • Konkurrenzverbote ohne zeitliche oder geografische Beschränkung oder mit übermässig weitem Tätigkeitsbereich, etwa   weltweite oder lebenslange Verbote;

  • Unbegrenzte Verpflichtungen zur Finanzierung   der Gesellschaft (z. B. unbeschränkte Pflicht zur Darlehensgewährung oder   Kapitalzufuhr ohne Kündigungsrecht);

  • Klauseln, die gesetzliche Aktionärsrechte ausschliessen (z. B. Informations-, Einsichts- oder Anfechtungsrechte);

  • Vereinbarungen, die zwingende Kapitalerhaltungs- oder Gläubigerschutzbestimmungen umgehen (z. B. Gewinnausschüttungen entgegen Bilanzvorschriften); solche Vereinbarungen   können sogar persönliche Haftung von Verwaltungsräten oder Aktionären auslösen;

  • Vereinbarungen, die gesetzliche Organzuständigkeiten umgehen, etwa indem sämtliche Geschäftsführungsentscheide den Aktionären vorbehalten werden;

  • Klauseln, die Minderheitsaktionäre verpflichten, stets mit der Mehrheit zu stimmen, ungeachtet des Inhalts;

  • Überhöhte Vertragsstrafen, die faktisch der Erzwingung des Verhaltens dienen (reduzierbar nach Art. 163 OR);

  • Bindung von Erben oder Rechtsnachfolgern ohne Möglichkeit zur Beendigung oder Ablehnung; absolute „ewige“ Nachfolgeklauseln sind unwirksam, da niemand ohne seine Zustimmung vertraglich gebunden werden kann.


Diese Aufzählung ist nicht abschliessend, verdeutlicht jedoch typische Fallstricke in der Praxis.


4. Schlussfolgerung


Der wichtigste Grundsatz lautet: Jede Beschränkung in einem Aktionärsbindungsvertrag muss einem legitimen wirtschaftlichen Zweck dienen. Schweizer Gerichte urteilen in der Regel praxisorientiert; erkennen sie eine sachliche Begründung, wird eine Klausel oft anerkannt. Bestimmungen hingegen, die einen Aktionär dauerhaft blockieren oder ihm wesentliche Rechte entziehen, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit als ungültig erklärt.


Eine Überprüfung des Aktionärsbindungsvertrags unter diesem Gesichtspunkt stärkt sowohl die langfristige Stabilität des Unternehmens, als auch das Recht jedes Aktionärs auf faire Behandlung.

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